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Frisch gefischter Salat

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Wie Aquaponik Südtirols Landwirtschaft revolutionieren könnte

Was haben Fische und Salat gemeinsam und wie können diese Akteure die Zukunft von Südtirols Landwirtschaft nachweislich prägen? Wir haben uns angeschaut, was es mit dem Salat aus dem Aquaponik-System auf sich hat, und uns vom frischen Geist eines jungen Start-up-Unternehmens inspirieren lassen.

Es begann beim Weihnachtsessen …

… und mit einem Lachsforellentatar. Dass die Lachsforelle ihre rosa Farbe nur durch Zufütterung von Karotin erhält und der Verzehr von Meerestieren aufgrund der Überfischung der Meere und der Wasserverschmutzung ethisch nicht mehr tragbar sei – das waren die Themen, die beim Familienmahl von Matthäus Kircher, seinen Schwagern Tobias und Thomas Rautscher und Armin Flor sowie weiteren Familienmitgliedern vor rund vier Jahren neben dem Tatar auf den Tisch kamen. Schon bald wurde die Brücke zum Thema Lebensmittelproduktion durch Aquaponik geschlagen und darüber diskutiert, welches Potenzial dieses System für eine bessere Landwirtschaft in Südtirol bieten könnte.

Und wie es das Schicksal so wollte, stand nur zwei Wochen darauf beim nächsten Familientreffen wieder Lachsforellentatar auf dem Menü. Von da an waren sich die heutigen Gründungsmitglieder von Solos sicher, dass sie ihren Beitrag zur Nachhaltigkeit nicht nur im Kleinen leisten, sondern im größeren Stil aktiv mitgestalten wollten. Es folgten wöchentliche Meetings zur Informationsbeschaffung und Planung und schließlich die Errichtung eines ersten kleinen Aquaponik-Testsystems, in dem mithilfe von Fischen der erste schwimmende Salat angebaut wurde. Alles spartanisch und ganz nach kreativer Manier eines jungen Start-up-Unternehmens.  

Was ist eigentlich Aquaponik?

Hierbei handelt es sich um ein einfaches wie geniales Konzept, das sich aus den beiden Systemen Aquakultur und Hydroponik zusammensetzt. Unter Aquakultur versteht man die kontrollierte Aufzucht aller im Wasser lebenden Organismen. Diese reicht von Bakterien bis hin zu Algen, Schalentieren und natürlich auch Fischen. Dem hinzu kommt Hydroponik: Dabei handelt es sich um die Aufzucht von Pflanzen im Wasser anstatt in der Erde. Die Vielfalt reicht von Kräutern bis hin zu Früchten und Gemüse. Vereint man diese beiden Systeme, entsteht die Kombination unter dem Begriff Aquaponik.

Als wichtigste „Mitarbeiter“ befinden sich im Behälter der Solos-Fischfarm rund 100 Fische, darunter Goldfische und Forellenbarsche, die auch in unseren heimischen Gewässern vorkommen. Das durch die Ausscheidungen und Atmung der Tiere an Ammoniak angereicherte Wasser wird regelmäßig über eine Pumpe zur nächsten Station befördert, wobei ein Filter die festen Bestandteile auffängt. In einem zweiten Behälter wandeln Bakterienkulturen, wie sie auch in unserem Körper vorkommen, den Ammoniak in Nitrate und Nitrite um, welche wichtige Nährstoffe für die Aufzucht von Pflanzen darstellen. Das natürlich gedüngte Wasser gelangt anschließend in die Becken der Salataufzucht, wo die Nährstoffe über die Wurzeln aufgesaugt werden. Somit wird das Wasser auf natürlichem Weg wieder komplett gereinigt und gelangt frisch und sauber in den Fischtank zurück, wo der Kreislauf wieder von vorne beginnt. Durch die natürliche Reinigung des Wassers ist kein Nachfüllen der Behälter notwendig. Zu den rund 50 m3 wird lediglich hin und wieder das ergänzt, was über die Salatwurzeln aufgesaugt wird. Ein durch und durch sauberes System, das ohne chemische Düngemittel und Medikamente auskommt und im Vergleich zur herkömmlichen Landwirtschaft 90 % weniger Wasser benötigt, dabei die Böden entlastet und dank der Möglichkeit eines vertikalen Anbaus auch eine platzsparende Alternative bietet.

Aquaponik ist kein Phänomen des 21. Jahrhunderts: Bereits indigene Kulturen in Lateinamerika haben mit diesem System erfolgreich gewirtschaftet, wenn auch nicht in hoch technologisierter Form, wie es heute der Fall ist.

Neben den bekanntesten Salatsorten wachsen im Aquaponik-System auch „exotischere“ Varianten, die für eine interessante Abwechslung sorgen. 

Geht es den Fischen gut, geht es dem Salat gut

Fische in einem offenen Behälter in einem geschlossenen Raum, wie nachhaltig und ethisch ist das? „Wir haben uns zu Beginn dieselbe Frage gestellt“, erzählt Matthäus, Gründungsmitglied der Solos Farm. „Das Wohl der Tiere ist unser wichtigstes Anliegen. Deswegen haben wir unsere Anlage und die Fische mehrmals von Veterinärmedizinern inspizieren lassen, die uns alle bestätigt haben, dass sie nicht nur gut, sondern sogar vorbildhaft gehalten werden. Gerne hätten wir das Becken noch ein bisschen natürlicher gestaltet und kleine Rückzugsorte für die Tiere geschaffen. Davon wurde uns aber abgeraten, da die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass es dadurch zu Revierkämpfen kommen könnte. Natürliches Tageslicht kommt über die Fenster hinein“, erklärt Matthäus. „Würden die Behälter im Freien stehen oder direktes Sonnenlicht bekommen, hätten wir das Problem von Algenbildung und einer zu starken Erwärmung der Wassertemperatur, was sich erneut negativ auf die Fische auswirken würde. Was die Anzahl unserer ‚Mitarbeiter‘ betrifft, liegen wir weit unterhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Obergrenze und hätten somit sogar Kapazität für noch mehr Fische. Doch daran haben wir aktuell kein Interesse, denn es muss auch immer alles im Verhältnis zu den Salatpflanzen stehen, die wir im Moment anbauen. Einmal im Jahr werden einige unserer Barsche geschlachtet und zum Verzehr verkauft, während Jungbarsche aus der Poebene nachkommen. Und so schließt sich auch der Kreislauf der Fische bei uns.“

Geht es den Fischen gut, geht es auch dem Salat gut. Eine Win-win-Situation für alle.

Die schwimmenden „Mitarbeiter“ werden in regelmäßigen Abständen auf ihre Gesundheit kontrolliert.

Und so schwimmt der Salat

Wie kann man sich eigentlich eine Aufzucht von Salat im Wasser vorstellen? Um diesen Schritt zu verstehen, betreten wir zuerst eine kleine thermisch isolierte Kammer, die ganzjährig mit 19 bis 26 °C perfekte Temperaturen verspricht. Violettes Licht von energiesparenden LED-Lampen und frische Luft von Ventilatoren sorgen für eine nahezu mystische Stimmung. Hier, auf wenigen Quadratmetern, befinden sich die Setzlinge der verschiedenen Salatsorten und verbringen ihre ersten drei Wochen, bis sie bereit für den Umzug ins Wasser sind.

Anschließend werden die Setzlinge auf ihr „Floß“ in das große Becken gesetzt. Auf rechteckigen Styroporplatten werden die Pflanzen in regelmäßigen Abständen platziert und können über eine Aussparung ihre Wurzeln in das Wasser tauchen. Eine leichte Strömung sorgt dafür, dass das Wasser stets in Bewegung und somit immer frisch bleibt. Und so schwimmen Gentile, Eichblatt, Trentina, Salanova und andere auch weniger bekannte Sorten für vier weitere Wochen in ihrem Becken, bis sie groß genug sind, um geerntet zu werden. „Immer montags und donnerstags ist Erntetag“, erklärt Matthäus. „Dann wird der fertige Salat von unseren fleißigen Helfern geerntet, samt Wurzeln in recycelte Papiertüten verpackt und vom Frächter abgeholt. Vom Wasserbecken bis hin zum Frächter sind es gerade mal 10 m, die zurückzulegen sind. Das spart enorm Zeit und Energie.“  Ist so ein System auch in vertikaler Form vorstellbar? „Auf jeden Fall. Damit ließe sich die Produktion noch mehr steigern. Das gesamte Potenzial von Aquaponik ist riesig und könnte die Landwirtschaft weit über Südtirol hinaus komplett revolutionieren.“

Keine Erde, keine Schnecken oder Insekten: Der schwimmende Salat kann auf seinem Floß sauber und in Ruhe zur optimalen Größe heranwachsen. 

Aus klein wird groß

Das Aquaponik-Kompetenzzentrum befindet sich inmitten der Traminer Apfelwiesen auf rund 8000 m2 in einem perfekt geschlossenen Kreislauf aus nachhaltiger Energie mit minimalem Verbrauch an Ressourcen. Der Umzug und die Skalierung auf diese Größe waren notwendig, um der ständig wachsenden Nachfrage an frisch gefischtem Salat gerecht zu werden. Nach den ersten Jahren des Experimentierens und Herantastens ist das junge Start-up mittlerweile alles andere als grün hinter den Ohren und hat eine ganz klare Vision vor Augen: „Durch den Anbau im Wasser können wir bis zu zwölfmal mehr produzieren als im Vergleich zur herkömmlichen industriellen Landwirtschaft. Deshalb planen wir in den nächsten Jahren, den Ausbau noch ein Stück zu erweitern und uns auch weiteren Gemüsesorten, Kräutern und Gewürzsorten zu widmen. Auch die Erweiterung hin zu Krustentieren anstatt nur Fischen finden wir besonders spannend.“ Die Message dahinter ist ganz klar: „Man kann mit erhobenem Zeigefinger auf die Missstände zeigen oder selbst die Dinge in die Hand nehmen und handeln. Wir haben uns für Letzteres entschieden und wollen mit dem Beispiel Aquaponik vorangehen in der Hoffnung, die Südtiroler Landwirtschaft nachweislich zu verändern. Als ein Kompetenzzentrum für nachhaltige Landwirtschaft mit Fokus auf dieses System wollen wir auch eine Anlaufstelle für andere werden, von der Forschung über die Entwicklung bis hin zur Aus- und Weiterbildung von Produzenten.“ Die Frage aller Fragen ist aber: Wie schmeckt eigentlich der frisch gefischte Salat? Knackig, authentisch und dank der Ernte samt Wurzeln auch nach mehreren Tagen noch wie frischgeerntet. Fazit: Aquaponik hat Potenzial und zeigt eine nachhaltige Alternative auf, die viele Probleme mit einer einzigen Lösung beseitigen und die Landwirtschaft nachweislich verbessern kann. Der gute Geschmack ist eine erstklassige Begleiterscheinung.  

Recyclingpapier, das hält. Mit Wasser gefüllt hing die Salattüte mehrere Tage an der Wand, ohne Flüssigkeit zu verlieren.   

Bio ohne Biosiegel

Obwohl der Aquaponik-Salat nachhaltig, natürlich und ohne künstliche Zusätze aufwächst, bleibt ihm das Biosiegel vorerst noch verwehrt. Grund dafür ist ein in die Jahre gekommenes EU-Gesetz, das besagt, dass Bio-Salat nur auf einem Feld in der Erde wächst.

Das Team hinter Solos: Helmut Franceschini, Matthäus Kircher, Armin Flor, Thomas Rautscher, Thomas Braun und Tobias Rautscher. Nicht im Bild: David Unterholzner.
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